14. April 2011

Kurzkritik: The Sound of Music

„You brought music back into the house. I had forgotten.“ -

Es gibt bis heute wahrscheinlich wenige Werke, die auf eine solch kuriose Geschichte zurückblicken können, wie die Film-Adaption von THE SOUND OF MUSIC: In den deutschsprachigen Ländern - eigentlich Schauplatz des Stückes - bei Erstaufführung nur gekürzt zu sehen, und von Kritik und Publikum gleichermaßen geschmäht, avancierte das Leinwand-Musical weltweit, allen voran in den Vereinigten Staaten zum Massenerfolg, und zählt zusammen mit der ROCKY HORROR PICTURE SHOW wohl zu den einzigen Musikfilmen, die eine wirkliche Happening-Kultur  und einen Kultstatus heraufbeschwören konnten, der von Christina Aguilera bis hin zu Lars von Trier weit in die heutige Popkultur hineinreicht.

Naheliegend ist es sicherlich, die unterschiedliche Rezeptionshaltung des deutschen und amerikanischen Publikums an der historischen Aufarbeitung des Films selbst festzumachen, der zwar - im Gegensatz zur vorangegangenen Bühnenversion des Stückes - den Anschluss Österreichs durch die Nazis nicht beiläufig, sondern auch offensiv optisch einfängt, gleichzeitig aber auch die eigentliche Ambition des Werkes noch weiter in den Vordergrund schiebt: THE SOUND OF MUSIC im positiven Sinn ein amerikanischer Film, eine Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema, welches in dieser Form wohl nur von Leuten vollbracht werden konnte, die nicht direkt in die europäischen Konflikte der vergangenen zwanzig Jahre involviert waren; die kein kollektives Trauma aufarbeiten mussten, sondern denen daran gelegen war, den historisch vorbelasteten Stoff künstlerisch zu abstrahieren.

Wie ein roter Faden, ernennt auch der Film dabei seinen eigenen Titel selbst zum Konzept: THE SOUND OF MUSIC ist keine politische Parabel, kein Heldenlied auf den österreichischen Widerstand oder die Biographie der Familie Trapp, sondern im Grunde seines Herzens ein klassisches Märchen: Ein Film über die Kraft der Musik, der in ekstatischer Fröhlichkeit von der wahren Liebe aller Widrigkeiten zum Trotz, und von der Überwindung des Bösen durch das Gute erzählt, und welcher keinerlei Ambitionen hegt, die geschichtliche Verortung seines Plots näher auszuleuchten, als im selbstgesteckten Rahmen nötig erscheint. Und doch greift das Script den Gefahren einer möglichen Romantisierung der Gesamtsituation zumindest insoweit vorweg, als das es ebenso prägnant wie überzeichnend Stellung bezieht, indem er die Nazi-Anhänger als jene Opportunisten-Truppe inszeniert, die sie vermutlich waren. 

Nichtsdestotrotz: Wenn irgendwo zwischen Nazi-Aufmärschen und weltpolitischer Eskalation über Berge und Apfelstrudel gesungen wird, mag vielen diese Art der Auseinandersetzung naiv und weltfremd erscheinen, und doch sind es die ursprünglichen Essenzen zweier Genres, die hier vorgetragen werden: Musical und Heimatfilm sind beide auf ihre Art und Weise Eskapismus, Überhöhung - ja vielleicht sogar Verklärung - der Wirklichkeit, wahlweise Realitätsflucht oder -verweigerung - und entziehen sich damit automatisch einer auf reine Rationalität abzielenden Kritik. Man kann all das nun freilich als Kitsch abtun, man kann - oder vielmehr: sollte - diesen Anspruch aber in erster Linie als einen wesentlichen Grundpfeiler der gesamten Film- und Unterhaltungskultur ansehen.
10 / 10

6 Kommentare:

  1. "Edelweiß". - Ich tue mich offen gestanden schwer mit diesen so grässlich kalkulierten Rodgers- und Hammerstein-Musicals (mit "The Sound of Music" noch schwerer als mit "South Pacific"). Sie kommen mir ein wenig vor, als seien sie Vorgänger eines gewissen Sir Andrew Lloyd Webber. Da lobe ich mir ein "Kiss me, Kate!" von Cole Porter - oder das Musical, das ich in nächster Zeit unbedingt besprechen muss (before the parade passes by). ;)

    AntwortenLöschen
  2. KISS ME, KATE ist ja auch gut :)

    Ich kann dich aber verstehen, es geht ja der Mehrzahl so, dass sie mit dem Megakitsch in SOUND OF MUSIC überfordert sind - ich finde den als Gesamtwerk allerdings wesentlich ehrlicher als Webbers Zeug, das sich oftmals ja auch noch wahnsinnig ernst nimmt. Kann als guilty pleasure aber sogar mit solchen Sachen wie EVITA leben, insofern ist bei mir in Sachen Musical sowieso Hopfen und Malz verloren :P

    AntwortenLöschen
  3. Was mich auf die etwas boshafte Idee brachte, Rodgers/Hammerstein mit Webber zu vergleichen, war der "schablonenhafte" Aufbau ihrer Musicals: Man nehme etwas Pompöses (hier: "Sound of Music", in "South Pacific" "Bali Ha'i") etwas Fröhliches (in "South Pacific" "Happy Talk", hier - falls es überhaupt im Original vorkam - "Sixteen Going On Seventeen"); der Rest ist Nebensache. Das ist natürlich nicht verboten, erklärt aber in meinen Augen ein wenig den Niedergang des "grossen" Hollywood-Musicals, dem als überwältigender Nachschlag noch das Meisterstück folgte, dessen Besprechung du mir jetzt bestimmt vor der Nase wegschnappst. :)

    AntwortenLöschen
  4. Keine Angst, mein Zeitplan ist momentan zur Genüge ausgeschöpft, ich schnappe garantiert niemanden etwas vor der Nase weg - außerdem können meine vergleichsweisen kurzen Texte ja sowieso nie mit deinen Ausarbeitungen mithalten, insofern kommen wir uns da sowieso nicht wirklich ins Gehege :)

    Ich widerspreche dir bei deiner Strukturanalyse übrigens noch nicht einmal wirklich, gebe aber offen und ehrlich zu, dass auch solch ein simpler Aufbau zumindest bei mir ab und an zum gewünschten Erfolg führen kann (ähnliches gilt ja auch für die ganzen neueren Jukebox-Sachen).

    Ungemein interessanter sind unter objektiven Gesichtspunkten aber wahrscheinlich sowieso die unberechenbareren und subversiven Musicals der 70er und 80er a la CABARET und ROCKY HORROR.

    Ich merke gerade, ich will alle Genannten noch einmal sehen :P

    AntwortenLöschen
  5. Ja, die Siebziger hatten es in sich! Und du weisst jetzt immerhin, dass es unter den Bloggern noch einen weiteren Musical-Fan gibt. ;) - Ich frage mich gerade, weshalb ich bis jetzt eigentlich erst Charles Walters' Film-Musical "Easter Parade" (1948) besprochen habe und mich immer wieder mit dem Gedanken trage, mal über das Astaire/Rogers-Vehikel "Top Hat" (1935) zu schreiben... - Zum Glück kann der Nostalgiker in mir nicht vollends loslegen, weil uns der "Intergalactic Ape-Man" mit seiner "Aktion deutscher Film" auf Trab hält. :)

    AntwortenLöschen
  6. Ich weiß, alleine wäre es auch gar nicht möglich, solche Dinge wie MAMMA MIA! zu feiern, ohne nicht auch noch den letzten Rest Integrität zu verlieren :D

    Achja, durch diese Aktion wollte ich mich bei Gelegenheit auch einmal durchlesen; bin ja eigentlich kein besonders großer Freund des deutschen Kinos nach 1930, aber mal sehen, ob sich noch was Interessantes findet, das ich bisher übersehen habe :)

    AntwortenLöschen