1. Dezember 2010

Kritik: Cabaret

"You have to understand the way I am, mein Herr!" -

Sowohl auf inhaltlicher, als auch auf visueller Ebene offenbart sich "Cabaret" wohl als das prägenste, wenn nicht sogar das beste Werk, dass das nur schwer zu umreißende Genre des Musical- und Musikfilms bis dato hervorgebracht hat: Fosse löst sich schon zu Beginn der 70er Jahre von allen Vorurteilen und Konventionen, die dem damaligen Kino anheim waren, und es zumeist noch immer sind, und zelebriert all das, was als landläufig "abnorm" verschrien war:

"Cabaret" und sein Regisseur kennen keine gesellschaftlichen Schranken, vielmehr sucht eine dermaßen unprätentiöse Erweiterung und Verquickung von archetypischen Elementen des Musicals wie der großen Liebe und des exaltierten Glamours der Bühne, mit - auf den ersten Blick schwer damit vereinbaren - Elementen wie der historischen Kulisse mit all ihrer Rassenidiotie und dem, im Kontext der Entstehungszeit des Films, sehr kontroversen Anspruch, Themen wie Homosexualität und Abtreibung als - im positiven Sinne - nebensächlich abzuarbeiten und als normal zu akzeptieren, auch heute noch seinesgleichen.
Es ist eine Ode an das Unkonventionelle, ohne sich dabei jemals zu sehr auf diesen Anspruch zu versteifen, ein real-politischer Appell, ohne jemals den eigenen Eskapismus zu hintergehen.

Anstelle von verkopften und moralischen Diskursen, die man heute bei einer ähnlichen Themenwahl erwarten würde, verliert "Cabaret" nie sein eigentliches Ziel aus den Augen: Es ist der Wille, ein intelligentes, aber doch gefälliges Musical auf die Bühne zu bringen, dem Fosse nacheifert; und er hat es tatsächlich mit Bravour geschafft: Die Cabaret-Sequenzen überzeugen durchweg mit flotter Inszenierung, und fanden mit ihrem surrealistischen Touch stilistisch Widerhall in nahezu allen Parallelmontagen nachfolgender Musical-Verfilmungen, sei es nun bei Luhrmans "Moulin Rouge" oder in Marshalls "Chicago".

Fosses Cast hat das Konzept von "Cabaret" vollständig verstanden, und brilliert ohne Ausnahme mit durchaus gewolltem overacting, nur um im nächsten Moment auch die ruhigeren Passagen mit der nötigen Sensibilität anzugehen.
Man sollte Feststellungen dieser Art ja grundsätzlich eher vermeiden, aber vorliegend geht es nicht anders: Liza Minelli war vor und nach ihrer Rolle als Sally Bowles nie wieder so gut.

Somit gilt auch fernab jeglicher Affinität zu Musicals und Ähnlichem: "Cabaret" gehört in jede gute Filmsammlung, und dürfte mit seiner strikten, szenischen Trennung zwischen Bühnen- und Plotparts auch als Einstiegswerk durchaus zugänglich und lohnenswert sein.

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Anmerkung: Nur in OV-Fassung genießbar!

9 / 10

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