4. März 2011

Kritik: Hunger


Eine Ausgangssituation, so simpel wie effektiv: Fünf willkürlich zusammengewürfelte Menschen, gefangen in ihrer Ahnungslosigkeit und einer künstlichen Höhle, ausgestattet nur mit viel Wasser, aber keiner Aussicht auf Nahrung. Es dauert nicht lange, bis sich ein Duell zwischen Moral und Trieb innerhalb der Gruppe anbahnt.

Die Essenzen des Genres offenbaren, eine morbide Dokumentation der Angst erstellen - es sind große Ziele, denen sich Steven Hentges in seinem Genre-Debüt HUNGER da offensichtlich verschrieben hat.
Und tatsächlich scheint es so, als hätte sein Film auf dem Papier das Potential besessen, eine kleine Sensation zu vollbringen, und den Begriff „torture porn“ von seiner negativen Konnotation zu befreien: Zumindest bieten Stoff und Szenario die Möglichkeit, jene Maskerade der Humanität zu zerstören, und den Entstehungsprozess langsamer Barbarei, an dem sich schon so viele andere Werke abarbeiteten, in kalten Bildern einzufangen, und dem modernen Horrorfilm so eine neue Perspektive zu eröffnen.

Und doch bleibt HUNGER ein Film, dessen Rezeption in Konjunktiven gefangen ist, einer dem man große Ambitionen unterstellen möchte, und dessen Bewertung schlussendlich doch vernichtend ausfällt: Hentges ist ein Neuling ohne einschlägige Erfahrung, und jenes Manko tritt in seinem Werk leider nur allzu omnipräsent in Erscheinung: Viel zu oft verlieren sich die originären Ansätze des Skripts in der unkonditionierten Inszenierung und dem Potpourri aus Genre-Versatzstücken zeitgenössischer Vorbilder, mit denen sein Schöpfer sie zusammenzuhalten versucht, viel zu selten verschafft man der ausufernden Erzählweise mit Schnitten die eigentlich so dringend benötigte Straffung.

Man mag bereits den szenischen Einstieg samt seines Verzicht auf Figurenexposition als ein Symptom nachfolgender Unsicherheiten deuten: Spätestens seit dem Erfolg von SAW dürften die Figuren auf der Leinwand die Einzigen sein, die die fatalistische Zuspitzung ihrer Ausgangssituation nicht voraussehen dürften. Der Glaubwürdigkeit von Hentges‘ Film täte es gut, würde er diesem Wissensvorsprung des Publikums offensiv begegnen, und ihn nicht durch dramaturgische Absurditäten ohne narrative Bewandtnis mehrere Male zu torpedieren versuchen. 

Wären da nicht die kleinen Hoffnungsschimmer, die sich immer wieder unter die Tristesse aus konventionell-braver Regie und unterbudgetierten Kulissen mischen, würde HUNGER nicht einmal den Mindestanforderungen simpler Unterhaltung genügen. Doch so weiß zumindest der Verzicht auf futuristische Folterapparaturen und der damit einhergehende Emanzipationsanspruch gegenüber modernen Schlachterplatten, sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen phasenweise - wenn auch nicht zu überzeugen - so doch zu gefallen: Die Perfidität seines Plots speist sich in HUNGER weniger aus dem sadistischen Voyeurismus seines Täters und des Zuschauers, sondern aus der vermeintlichen Realität der Figuren und ihrer Situation: Nahrungsentzug als Druckmittel - des Menschen ältestes und effektivstes Droh- und Mordwerkzeug feiert hier eine ungeahnte Renaissance.

So lobenswert das Durchbrechen jener Spirale aus visueller Gewalt und Sadismus, die das gesamte Subgenre seit geraumer Zeit fest in ihrer Umklammerung hält, sein mag; die dadurch entstandene Leerstelle kann Hentges mit seinem realistisch anmutenden Gegenentwurf nur spärlich ausfüllen: Nicht selten tritt seine Erzählung auf der Stelle, kann ihr Versprechen einer umfassenden Psychoanalyse der Figuren überhaupt nicht einlösen. Selbst wenn man die reichlich gezwungene Rollenverteilung (der Draufgänger, die Brave, der Aggressive, etc) innerhalb der Gefangenen als nötiges dramaturgisches Mittel begreift, sind die nachfolgenden Gruppendynamiken samt ihrer küchenpsychologischen Komponente hundertfach durchdekliniertes Genre-Inventar ohne Überraschungspotential: Extremsituationen führen nicht nur zu Misstrauen und Trugschlüssen, sondern auch zum Verlust der Menschlichkeit - ähnliches stellte CUBE (genauso flach, dafür aber nicht so unappetitlich) bereits vor über zehn Jahren fest.

Mag jener Kannibalisierungsprozess innerhalb der Höhle dank steigenden Verbrauchs roter Lebenssäfte und unlogischer, aber in der Kuriosität ihrer Situationen amüsanter Aneinanderreihung von Körperlichkeiten, die von Sex bis Todschlag die gesamte Bandbreite menschlicher Interaktion aufbieten, auf dem Prinzip der Schadenfreude ob des an seinen Ambitionen gescheiterten Films noch irgendwie zufrieden stellen, überspannt es HUNGER spätestens mit der zunehmenden Wichtigkeit seiner komplett überzeichneten Täter-Rolle vollends: Die Erbärmlichkeit aller bedienter Klischees über scheinkultivierte Killerfiguren, irgendwo zwischen Hannibal Lecter und „Mad Scientist“, mag hier ebenso überraschen, wie die Ernsthaftigkeit, mit der jener selbstdiagnostische Blödsinn, der als motivischer Überbau herhalten muss, vorgetragen wird.

Wenn Hentges mit dem seltsam überstrahlten Erlöser-Ende die komplette Inkohärenz seiner Arbeit auf die Spitze treibt, und den vorhergehenden Zynismus und dessen Düsternis mit einer biederen Lobpreisung auf die Standhaftigkeit moralischer Werte konterkarikiert, dürften nicht wenige Zuschauer entnervt die Endcredits herbei sehnen.

Es bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass HUNGER unter anderer Leitung, und als Kurzfilm wahrscheinlich deutlich mehr seines durchaus vorhandenen Potentials hätte ausschöpfen können - in seiner jetzigen Form ist es jedoch maximal Direct-to-DVD-Futter für potentielle Genrekomplettisten.


2 / 10

erschienen bei: Reihe Sieben

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen