31. März 2011

Kritik: Scream

„It‘s all one great big movie!“ -

Es ist der Punkt, an dem Craven und Williamson am deutlichsten die Quintessenz und  Daseinsberechtigung ihres Werkes betonen: SCREAM ist anders als seine geistigen Vorväter nicht nur Verneigung oder, anders als die Epigonen, ironische Überzeichnung bekannter Abläufe des Slashers, sondern gleichzeitig auch bereichernder Genrebeitrag selbst. Wie so oft in Cravens bisherigen Werken, überlässt es der Regisseur dabei dem Publikum selbst, wie der Film letztlich wahrgenommen werden möchte: SCREAM kann als funktionaler Teen-Slasher ebenso gelesen werden, wie als schwarzhumorige Satire auf dessen Essenzen.

Die vermeintlich einfache Einordnung in jene Schubladen, daran dürfte rückblickend kein Zweifel bestehen, trug maßgeblich zum großen Erfolg des Filmes bei, und begünstigte gleichzeitig die Bildung eines neuen Subgenres, das geläufige Dramaturgien nicht nur nachstellte, sondern mit ihnen auf ironische Art zu kokettieren begann. Und doch wird man SCREAM als Gesamtwerk nicht gerecht, wenn man ihn einzig im Kontext seiner Entwicklung und Reflexion des modernen Horrorfilm sehen, und seine Bedeutung als Generationsportrait vernachlässigen würde.

Das Script des bis dahin eher unauffälligen Drehbuchautors Kevin Williamson zehrt nicht nur von dessen Kenntnissen als Anhänger des abseitigen Genrekinos, sondern ist auch maßgeblich von seinem Verständnis im Umgang mit der Verarbeitung von - teils autobiographischen - Sorgen und Ängsten von Teenagern geprägt.
Mit Wes Craven, der seit seinem Debüt LAST HOUSE ON THE LEFT stets ein Filmemacher gewesen ist, der weniger daran interessiert war, den Horrorfilm seiner angestammten Sujets zu berauben, als vielmehr diese im vorgegebenen Rahmen zu vertiefen und weiterzuentwickeln, schien durch glückliche Fügung, bald auch der passende Regisseur für das Projekt „Scary Movie“, aus welchem wenig später SCREAM erwachsen sollte, gefunden.


Wie bereits die beiden von Craven inszenierten Ableger des NIGHTMARE-Franchise, profitiert auch SCREAM sichtbar von dessen Einfühlungsvermögen, welches - ganz im Sinne des Drehbuches - die Protagonisten auf der Leinwand trotz aller Überzeichnung nie als bloßes Mittel zum Zweck begreift, sondern ihnen echtes Interesse entgegenbringt.

So scheint es nicht verwunderlich, dass sich das Duo hinter SCREAM schon im Intro nicht nur mit dem vordergründigen Zitat auf Suburb-Märchen und dessen filmische Verarbeitung in WHEN A STRANGER CALLS zufrieden gibt, sondern exemplarisch auf einen der Hauptpfeiler ihres bisherigen und zukünftigen Schaffens anspielt: Ihre Welt ist ein abgeschlossener, adoleszenter Kosmos, in dem Jugendliche auf sich allein gestellt sind, in den Erwachsene selten Einblick erhalten, und sich dann wahlweise als hilfs- oder teilnahmslose Randfiguren präsentieren.
Doch - und darin unterscheidet sich SCREAM von vielen anderen Filmen aus gleichem Milieu - Williamson ist nicht daran gelegen, die Jugend als Lebensphase des Umbruchs zu verklären. Stattdessen zeichnet er Charaktere, die alle ihren eigenen Ballast zu tragen haben, und deren Clique hinter den Oberflächlichkeiten des Alltags erstaunlich marode Vertrauensstrukturen aufweist, und die sich schließlich selbst zur Gefahr wird.
Es ist dabei Zugeständnis, ein Beweis von Eigenständigkeit, dass Williamson die Teenager im Rahmen der Mordserie nicht einer externen Bedrohung aussetzt, sondern sie selbst für die Geschehnisse verantwortlich macht, und sie zwar so ihres Opfer-Mythos beraubt, ihnen aber auch auf Augenhöhe begegnet.


Den Spagat, den Script und Film damit zwischen Subtext und satirischen Oberfläche vollbringen, zählt in dieser Brillanz sicher zu den Seltenheiten des damaligen Teen-Grusels, und darf auch noch heute als nahezu einmaliges Experiment verstanden werden. Denn abseits seiner Behandlung von coming-of-age-Fragen, entpuppt sich SCREAM auch als reiner Genrefilm, der vor allem deshalb so gut funktionieren vermag, weil er die Mechanismen des Slashers transzendiert und auf eine neue Stufe bringt: Anders als die Anfänge des modernen Stalk&Slash-Films mit Carpenters HALLOWEEN und Cunninghams FRIDAY, THE 13th, die in starrer Huldigung und Nähe zum Plagiat stets den Klassikern PEEPING TOM und PSYCHO verschrieben waren, zeigt Craven zwar Respekt, aber keine Berührungsängste mit den Wegbereitern seines eigenen Werks.

Aus allerlei Zitaten der Popkultur und des Genrefilms selbst, erstellen Williamson und Craven ein Spiel, das die Erwartungshaltungen des Publikums ebenso bedient, wie doch auch betrügt: Ihre Schocker und Mechanismen werden erst offengelegt und entmystifiziert, nur um anschließend mit harter Konsequenz zu überraschen. In all seiner ausgestellten Scheinkomplexität versteht sich das Überkonstrukt des Finales letztlich selbst auch nur als entlarvender Kommentar zur unglaubwürdigen Unberechenbarkeit maskierter Franchise-Killer der Vergangenheit. Würde diese Art des Selbstverständnisses und der Erkenntnis doch nur öfter im aktuellen Horrorkino Niederschlag finden.

9.5 / 10
erschienen bei: Reihe Sieben

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