4. Januar 2011

Kritik: Rabid

"I'm still me" -

Im ebenso quantitativ, wie qualitativ ausladenden bisherigen Lebenswerk von David Cronenberg fällt es seinen frühen Filmen zunehmend schwerer, die ihnen eigentlich zustehende Würdigung zu erfahren, besteht doch leicht die Gefahr, sie bei oberflächlicher Betrachtung in die gleichen Schubladen wie etwaige Nachfolger zu packen, und ihnen so die Existenzberechtigung strittig zu machen - ein fataler Trugschluss.

Denn obgleich RABID noch nicht die Homogenität späterer Cronenberg-Filme besitzt, offenbart er sich als hintersinniges Experiment, das sowohl damalige Anstands-, als auch Genregrenzen auslotet, und zu einer neuen Masse zusammenfügt: Wie in vielen anderen Filmen des Kanadiers thront bereits hier die Frage nach der Kausalität der körperlichen Metamorphose auf die psychische, und umgekehrt, über allen anderen Themen; anders als in späteren Werken, versteht sich RABID dabei aber weniger als Body-Horror im engeren Sinne, sondern vielmehr als Transformationprozess verschiedener Mythen in die Gegenwart.

Letztendlich ist RABID trotz seines Verweisspiels auf die Klassiker des Zombiefilms und ihrer politischen Attitüde gleichzeitig auch eine Interpretation des Vampirismus, dem Cronenberg seiner romantischen Verklärung beraubt: Reißzähne weichen einem Phallussymbol, der Blutdurst ist nicht mehr nur Ventil einer unerwidert gärenden Leidenschaft, sondern wird direkt mit dem Sexualakt vermengt.

Spannend, wenngleich auch noch unreifer und weniger visuell wahrnehmbar, als beispielsweise in THE FLY, ist dabei die Frage, ob der Verwandlungsprozess für seine Protagonistin letztendlich Fluch oder Segen ist; leidet sie zwar sichtlich an ihrer zunehmenden Aggressivität, entdeckt durch ihre Verwandlung aber auch erst die Möglichkeit zur Emanzipation von ihrer männlichen Umwelt - dient der Tötungswille anfänglich vorallem der Abwehr von Übergriffen, verselbstständigt er sich im Endstadium dahingehend, dass die Begegnung mit potentiellen Opfern vorsätzlich heraufbeschworen wird - aus der passiven Opferrolle erwächst eine aktive Täterin.

Auch das Ende lässt letztendlich die Frage offen, ob ein letzter menschlicher Funke zum freiwilligen Suizid in Märtyrerpose, und somit zu Überwindung des Fluches führt, oder ob es nicht der Wunsch nach dem endgültigen Wechsel in ein triebgesteuertes Wesen ohne Moral ist, der Chambers' Charakter antreibt.
Fast möchte man deshalb meinen, dass hinter dem Casting von Erotikdarstellerin Marilyn Chambers mehr steckt, als das Bedienen eines gewissen Voyeurismus; befinden sich Angehörige dieser Branche doch in einem ähnlichen Spannungsverhältnis aus Abhängigkeit und Emanzipation, gegenüber ihrer Kundschaft, wie die Protagonistin des Films gegenüber ihrer Umwelt.

Es sollte nicht verschwiegen werden, dass RABID den trashigen B-Movie-Look noch mehr auslebt, als viele andere Filme von Cronenberg, ebenso, wie die Wahl seiner nahezu durchweg sexualisierten Metaphern, nicht jeden gefallen wird. Wer sich aber darauf einlassen kann, der bekommt mit RABID einen Rohdiamanten geboten: Ungeschliffen zwar, aber wertvoll.

7.5 / 10

erschienen bei: mehrfilm

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