25. April 2011

Kritik: Scream 4

"Don't fuck with the Original" -

Über zehn Jahre ließ Wes Craven verstreichen, bis er sich dazu durchringen konnte, die erste Klappe für den vierten Teil seines berühmten Franchise fallen zu lassen. Mit dem damit einhergehenden Vorwurf, die verspätete Neuauflage einer renditeträchtigen Reihe wie „Scream“ sei nur noch finanziell motiviert, und besäße im Grunde keine künstlerische Notwendigkeit, wird sich auch der neuste Film des Amerikaners konfrontiert sehen, daran besteht (leider) kein Zweifel - doch glücklicherweise ist Craven lange genug im Geschäft, um sich der pawlowschen Beißreflexe gegenüber solchen Vorhaben bewusst zu sein, und sie deshalb mit gezielter Koketterie ins Leere laufen zu lassen.

Was sich im äußeren Rahmen als den Maßgaben des Genres verschriebene Fortsetzung ausgibt, die in geläufiger Manier nun eine neue Generation an Opfern die erprobten Abläufe der bisherigen Teile erleben lässt, entpuppt sich hinter der Fassade als konsequenter Bruch mit der eigenen Tradition. Wie bereits in Teil 3, benutzt auch die vierte Auflage der Ghostface-Geschichte die Film-im-Film-Ebene, um sich selbst kritisch mit der reiheninternen Vergangenheit auseinanderzusetzen: Das System des ironischen Überspitzens hat sich in den letzten Jahren selbst zum Klischee entwickelt, demnach erscheint es folgerichtig, dass Craven solche Töne in geballter Form nur noch innerhalb des Stab-Universums anschlägt, und sich dabei gleichzeitig über die stets gleiche Masche des stets wachsenden filminternen Franchise amüsiert.
Scream 4“ behält den beschwingt-leichten Inszenierungsstil samt seiner Verweise auf Branche und Popkultur, der die bisherigen Werke prägte, bei, lässt auf der anderen Seite jedoch auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass die zweite Trilogie (sofern sie denn wirklich vollständig erscheinen sollte) einen anderen, düstereren Grundton anschlägt - mehr noch als zuvor unterstreicht Craven seinen Anspruch, mit „Scream“ das Genre nicht nur zu reflektieren, sondern auch selbst Teil des Ganzen zu sein.


Natürlich lässt es sich der Altmeister nicht nehmen, bereits im Intro die jüngeren Entwicklungen des Horrorkinos (Stichwort: torture porn) zu kommentieren, aber anstelle der einstigen Offenlegung von Defiziten durch die Mittel der Satire, bietet Craven hier einen eigenständigen Alternativvorschlag an: Seine Abneigung gegen den unbequemen Zynismus, der mit Werken wir „Saw“ Einzug ins Genre hielt, sind nicht nur verbitterte Lippenbekenntnisse, sondern ist in „Scream 4“ deutlich spürbar. Ganz der Tradition der Genreklassiker verschrieben, gesteht der Film seinen Figuren - sicherlich nur im Rahmen seiner genrespezifischen Möglichkeiten - zu, echte Persönlichkeiten zu entwickeln, und behauptet deren Leiden und Schicksal nicht nur, sondern lässt sie für das Publikum auch nachvollziehbar erscheinen. Wenn Campbells Sidney-Charakter im Zwiegespräch feststellen muss, dass ihr eigenes Leben stets auch mit dem Verlust ihrer Weggefährten einhergeht, gesteht sich der Film zwischen all seinen Happening-Sequenzen durchaus einen kleinen Moment der Nachdenklichkeit zu, und einen realistischeren Blick auf klassische Final-Girl-Rollen zulässt.

Als dürften die Erwartungen der darbenden Fangemeinde damit nicht schon über Gebühr erfüllt sein, überträgt Craven auch den Subtext der Vorgängerwerke auf eine neue Ebene, und formuliert ihn zum treffsicheren Zeitgeistportrait aus: Die Boulevardpresse von einst ist den modernen Kommunikationsplattformen gewichen, welche nicht nur schneller funktionieren, sondern sich noch leichter für unmoralische Dinge instrumentalisieren lassen. Das Dilemma der Generation Facebook, irgendwo zwischen dubiosen Internet-Ruhm und Selbstdarstellung; Craven hat es - trotz seiner mittlerweile stolzen 71 Jahre - erstaunlich präzise erkannt, und es im Gegensatz zu George A. Romero, der mit seinem „Diary of the Dead“ vor einiger Zeit ähnliche Ansätze vertrat, auch in ein rundum gelungenes Gesamtpaket integrieren können.

Zusammengehalten von Wes Cravens Konzept des Horrors, der immer dann am stärksten nachwirken kann, wenn Erwartungshaltungen enttäuscht werden, und Schockmomente den Zuschauer ganz unvorbereitet treffen, erweist sich der vierte Teil der Reihe damit nicht nur als ebenso logische, wie auch notwendige (Teil-)Neuerfindung des eigenen Franchise,  ohne dabei seine Wurzeln zu verraten, sondern auch für sich alleine stehend, als einer der gelungensten Beiträge innerhalb des Slasherfilms vergangener Jahre.

7 / 10
erschienen bei: Reihe Sieben

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