30. Mai 2011

Kritik: Source Code

Und täglich grüßt die Bombenschnur -

„Source Code“ ist ein interessanter Film, interessant zumindest unter jener Prämisse, als dass man ihn als jüngsten Auswurf einer Reihe von, als Popcorn-Spektakel getarnter, Verarbeitungsphantasien der vergangenen Dekade sehen kann: Zäsuren in der Geschichte haben die Kunst, Film vielleicht sogar mehr als alle anderen Untergliederungen von ihr, immer beeinflusst, und deshalb erscheint die Häufung spezieller Themenkomplexe nach dem Trauma von 9/11 und den anschließenden amerikanischen Kriegsjahren als nicht außergewöhnlich. Spannend jedoch ist, dass sich neben den einschlägigen und bewussten Bestandsaufnahmen des intellektualisierten Kinos, welches die Filme eines Robert Redford oder Paul Haggis zu verantworten hat, vor allem die typischen Blockbuster-Produktionen von diesem Zeitgeist betroffen zeigen, und dabei - ob nun bewusst oder unbewusst - eine Art Kontrapunkt zu den oben genannten Regisseuren einnehmen: Im Actionkino bleibt keine Zeit für Selbstkritik, Reflexion und Ursachenforschung, sondern nur für praxisorientierte Lösungen.

Duncan Jones, der mit seinem Debüt „Moon“ immerhin einen Achtungserfolg für sich verbuchen konnte, ist kein Amerikaner, sondern Engländer, „Source Code“ ist noch nicht einmal eine reine US-Produktion, und doch verdeutlicht gerade diese Faktenlage eines sehr deutlich: Der Film als solches behandelt - ähnlich wie all die anderen Terror-Vehikel der letzten Jahre - eigentlich globale Ängste der westlichen Welt, die geografische Verortung des Geschehens in Chicago bietet nur eine günstige, weil ebenso attraktive, wie auch bekannte Projektionsfläche.

Und trotz all dieser Gemeingültigkeit, die man dem Film samt seinem Drohszenario beimessen kann, letztlich chiffriert er durch seine Unterhaltungsmechanismen vor allem ein sehr amerikanisches Verständnis von Patriotismus und Konfliktbewältigung: All die Lesarten, die in der schamlosen Instrumentalisierung eines Schwerverletzten zum Wohle des greater good eine Parallele zu dem Verhältnis von Politik und dem einzelnen Soldaten im Kampfgebiet konstruieren, die die xenophobe Paranoia innerhalb des Zuges als Aufarbeitung der aktuellen Situation sehen, dahinter vielleicht sogar eine kritische Haltung vermuten möchten, stößt Jones mit seinem Finale heftig vor dem Kopf: Am Ende erweist sich das gesamte System als praktikable Gefahrenprävention, so lange es nur die richtigen Menschen beherbergt (und die, daran lässt er keinen Zweifel, scheint es immer zu geben) - hier dürfen sich dann folgerichtig auch gleich zwei wahre Patrioten finden, und gemeinsam die Stadt vor dem Untergang bewahren - notfalls eben auch gegen den unmittelbaren Willen der Vorgesetzten. So pathetisch, so falsch, hat Hollywood seine Helden schon immer gerne in Szene gesetzt, und „Source Code“ macht da keine Ausnahme.


Ebenso wie die auch formal sehr ähnlich aufgebauten Filme „Vantage Point“ und „Déjà Vu“  bietet auch „Source Code“ mit seiner Zeitschlaufe und dem Paralleluniversum natürlich in erster Linie eine Wunschvorstellung an, eine Möglichkeit, unliebsame Gegebenheiten einfach ungeschehen machen zu können. Und doch geht Jones noch einen Schritt weiter als die beiden anderen Filme, erklärt er die Zukunftsmanipulation doch zur rein technischen Errungenschaft der Geheimdienste. Ob man das als bissigen Kommentar auf die Allmachtsphantasien in den dunklen Behördenkellern sehen kann, oder die gesamte Konstruktion nicht doch viel mehr auf einen indirekten Wunsch zurückgeht, der genau solch eine grenzenlose Beherrschbarkeit aller Abläufe durch die „Guten“ verspricht - ganz darüber im Klaren ist sich der Film dabei offensichtlich selbst nicht.

Letztlich - und das ist die beruhigende Nachricht - benötigt man all diese Subtext-Analysen aber überhaupt nicht, um „Source Code“ als bräsiges, unteres Mittelfeld in der Kinolandschaft zu bezeichnen: Wie nahezu alle Spielereien mit Zeitschleifen und Perspektivwechseln krankt auch das zweite Werk von Jones vor allem an seiner schier endlosen Wiederholung von sich oftmals nur marginal verändernden Handlungsabläufen. Nach knapp zwanzig Minuten hat man bereits die zwei einzigen wirklichen Locations - namentlich ein weißes CIA-Labor und den Unglückszug - bestaunen dürfen, und ab diesem Moment ist nicht nur der Fahrplan des Zuges, sondern auch der des Filmes klar, was Jones aber freilich nicht davon abhält, sein Publikum noch gefühlt weitere zwanzig Mal zwischen den beiden Settings hin- und her fliegen zu lassen.

Das ist, weniger aufgrund des lahmen Scripts oder der einfallslosen Inszenierung, sondern maßgeblich durch das Spiel der beiden Hauptdarsteller Gyllenhaal und Farmiga, die sich ihre sichtliche Unterforderung glücklicherweise nicht allzu oft anmerken lassen, zwar streckenweise passabel unterhaltsam - aber was heißt das schon? Streckenweise passabel unterhaltsam ist eine Fahrt mit der Deutschen Bahn auch.

4 / 10
erschienen bei: Reihe Sieben

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