27. Oktober 2010

Kritik: M - Eine Stadt sucht einen Mörder

"Er ist ja kein Mensch" -

Man sollte es amtlich machen: Fritz Lang hat es tatsächlich geschafft, sich selber zu übertreffen, und sein "Metropolis" zu überbieten.
Wenngleich jenes Mammutwerk aus cineastischer Sicht eine ungeheuer wichtige Produktion war, so macht die darin vorgenommene kompromisslose Fokusierung auf die technischen Aspekte des Mediums eine heutige Sichtung doch eher anstrengend, denn zum wirklichen Genuss.
"M - Eine Stadt sucht einen Mörder" kann und will einen anderen Weg gehen, verlagert Lang doch sein Augenmerk von der wuchtigen Inszenierung und der technokratischen Ästhetik nun voll auf die Vorzüge des neuen Tonfilm-Technik und den daraus resultierenden Möglichkeiten zum Erzählen von Geschichten und zur Anlage von Charakteren.

Neben seiner vorzüglichen Inszenierung, die durch Parallellmontagen und geschickte Symbolik eine nicht für möglich gehaltenen Dynamik ausstrahlt, überzeugt "M" vorallem durch seinen Plot: Lang hantiert mit Versatzstücken von Genres, die es zur Zeit der Erstausstrahlung noch garnicht gab, oder die gerade erst im Entstehen waren - ein Beweis dafür, wie weit er mit seinen Arbeiten der Zeit oftmals voraus war. Gerade in der zweiten Filmhälfte wird aus der, in ihren Grundzügen simplen, Kriminalgeschichte eine schwer zu trennende Mixtur aus Gangsterfilm, Milieustudie und nicht zuletzt ein dramatischer Appell gegen Lynchjustiz.

Die schon zu Filmbeginn einsetzende Paranoia auf den Straßen, welche schließlich in der finalen Gerichtsverhandlung vor dem Verbrecher-Tribunal gipfelt, beweisen, dass "M" durchaus auf vielen Ebenen lesbar bleibt und weiter ging, als alle vergleichbaren Produktionen in den darauffolgenden Jahrzehnten.
Der Spiegel, den Lang der "Kopf-ab"-skandierenden Menschenmasse durch das Plädoyer des Anwalts vorhält, hat nichts von seiner Aktualität verloren; zu sehr ähneln die damaligen Mechanismen des vox populi den heutigen Leserbriefen in der Boulevardpresse.
Sicherlich: Der Zahn der Zeit ist nicht spurlos an "M" vorübergezogen; die psychologische Ebene, die der Regisseur seinem mordenden Hauptdarsteller zugesteht, war für die damalige Zeit erstaunlich ambivalent, spiegelt aber die psychologisch-kriminologischen Erkenntnisse der letzten Jahre natürlich nur noch stark vereinfach und rudimentär wider.
Ein Manko, über das man gerne hinwegsehen möchte, da zum einen viele aktuelle Filme noch nicht viel weiter sind, zum anderen, weil Lorres Schauspielkunst so großartig ist, dass sie das Publikum mit einer Mischung aus Abscheu und Mitleid in den Bannkreis seiner Figur zieht.
Ein ähnliches Lob liese sich gegenüber dem kompletten Cast anbringen, wenngleich die überbordende Gestik als Relikt der Stummfilm-Ära und der Theaterausbildung heutigen Sehgewohnheiten nicht mehr wirklich entspricht und etwaiger Nachsicht bedarf.

Ob "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" nun der beste deutsche Film aller Zeiten ist, ist etwas, was ich aufgrund der Absolutheit einer solchen Aussage, nicht behaupten möchte. Tatsache ist aber, dass Langs Film auch heute noch - sowohl aus narrativer als aus technischer Sicht - eben jenes moderne "Filmfeeling" transportiert, dass manch ein Zuschauer bei der Sichtung solcher Klassiker vermisst - eine Einstellung, die man - so oder so - dringend überdenken sollte.
"M" ist ein Genuß - vor dem Hintergrund der Erkenntnis hinischtlich des visionären Charakters vielleicht heutzutage mehr denn je. 


9.5 / 10

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