19. Dezember 2010

Kritik: eXistenZ


 "eXistenZ...is not just a game" -

Die Historie verläuft selten gerecht, die Filmgeschichte sowieso nicht, und so ist es auch wenig verwunderlich, dass „eXistenZ“ nur ein paar Monate nach „Matrix“ in den Feuilletons zwar ähnlich lobend besprochen wurde, an den Kinokassen gegen die Fetisch-Fantasie aus dem Hause Wachowski aber keinen Stich holen konnte.

Dies wäre sicherlich zu verkraften, würde Cronenbergs vorletzter Film vor seiner Hinwendung zum Realen in seiner Rezeption, nicht immer wieder von jenem Vergleich, der wie ein schwarzer Schatten über dem Werk hängt, eingeholt:

Dabei ist es letztendlich eine erzwungene Parallele, die man zwischen obigen Filmen konstruiert hat, denn verabschiedet man sich von der Simplifizierung, die beide Werke auf die Koexistenz einer realen, und einer virtuellen Welt herunterzubrechen, offenbart sich eine ganz andere Ausgangssituation: „eXistenZ“ generiert seine Unterdrückermechanisen nicht aus einer überbordenden und sich emanzipierten Macht, sondern aus dem Eskapismus-Trieb des Menschen als solches - Cronenbergs Protagonisten sind Avatare und Spielfiguren, aber sie selbst sitzen an der Konsole und lenken.

Es erscheint tatsächlich als ebenso reale, wie doch visionäre Dystopie, die „eXistenZ“ im Jahre 1999 entworfen hat, und die ostentativ jenen Entwicklungen vorweg greift, die nur wenige Jahre später das Thema hitziger Talkshow-Debatten werden sollte: Wieviel Virtuelles verträgt das Reelle?

Ebenso selbstverständlich wie präzise skizziert der kanadische Regisseur dabei den Weg einer Gesellschaft in die Abhängigkeit: Die Flucht in „eXistenZ“ ist eine Flucht wider besseren Wissens, stets getrieben von der Verlockung nach der Kompensation der als dröge empfundenen Realität - das Spiel vertauscht die Vorzeichen, erzeugt Spiegelbilder, die sich nach und nach zur subjektiven Wirklichkeit versteifen: Hier darf der Verlierer Gewinner sein, und nicht ohne Hintergedanken führt der Weg in die Spielwelt über zahlreiche sexuelle Referenzen.
Dabei entlarvt „eXistenZ“ all seine Konsumenten geschickt als Egomanen, sind sie für diesen persönlichen Triumph doch sogar bereit, eine durch und durch enthumanisierte und barbarische Welt in Kauf zu nehmen.

Es ist weniger die kluge Konzeption des Films, sondern vielmehr die Darstellung eben dieser, die bisweilen für Unbehagen sorgt: Eingeweide und Gekröse scheinen dem Regisseur so gut zu gefallen, wie eh und je; mehr als einmal muss er sich allerdings die Frage gefallen lassen, ob omnipräsent visualisierter Ekel wirklich noch als zeitgemäße Metapher funktioniert.

Dass sich Cronenberg für seinen Film exzessiv an den Mechanismen und Strukturen von Videospielen bedient, ist dagegen ein durchweg charmanter Script-Einfall, der vorallem deshalb zu beeindrucken weiß, weil sich der Film nicht an seiner verschachtelten Struktur ergötzt: „eXistenZ“ ist trotz seiner Ebenenwechsel und der Level-Narration eine homogene Geschichte, deren Reiz mehr im „Was“, als im „Wie“ zu finden ist, und der deshalb folgerichtig auch auf eine - möglicherweise erwartete - klinisch reine Digitalwelt verzichtet.
An dieser Stelle ist „eXistenZ“  auch heute noch allen nachfolgenden Werken, welche sich  Teile des Konzepts zu Eigen machten, überlegen.
Ein Film, der sich lohnt, gesehen zu werden, vor dessen Sichtung man sich allerdings tunlichst von den, durch Cover und Trailer evozierten, Erwartungshaltungen trennen sollte: „eXistenZ“ ist zu jeder Zeit mehr Gesellschaftsstudie und -satire, als genretypisches Actionkino.

8.5 / 10

1 Kommentar:

  1. ...eXistenZ wird bald endlich geschaut... mal schauen, ob ich mit der Kritik dann konform gehen kann...

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