4. Dezember 2010

Kritik: Rocky Horror Picture Show

„It was a night out, they are going to remember for a very long time“ -

Leicht fällt es nicht, eine Rezension zu einem Film zu verfassen, der das Herz des Zuschauers schon nach wenigen Sekunden mit kleinen Verweisen und großen Gesten im Intro-Song für sich zugewinnen vermag - und in der Tat, bereits die Ouvertüre offenbart einen kleinen Einblick in die Konzeption von Sharmans Adaption der ebenso provokanten wie originellen „Rocky Horror Picture Show“ von Richard O‘Brien, die er in den darauffolgenden 90 Minuten zelebriert.

Wenn der Film nicht nur die beiden Protagonisten, sondern auch das Publikum auf seine Toure de force von der kleinbürgerlichen Verlobungszeremonie hin zu seinem bestrapsten Finale vor einem sich absorbierenden Schloss mitnimmt, dann bewegt sich Sharman nahe an den Essenzen von mehreren filmischen Genres:  Zwar verschreibt sich die Inszenierung der „Rocky Horror Picture Show“ konsequent den exaltierten und eskapistischen Mechanismen des Musicals, macht sich bei ihrer narrativen Ausgestaltung und in der Figurenzeichnung allerdings auch die Wirkungsweise des klassischen Horrorfilms zu Eigen: Das Naive (göttlich, und im Kontext ihrer streng katholischen Erziehung auch sehr selbstreflektierend: Susan Sarandon) bricht beim Kontakt mit dem Mysteriösen mit den eigenen Konventionen und emanzipiert sich - was in anderen Filmen des Genres oftmals im Konter der Bedrohung gipfelt, ist hier der Weg in die sexuelle Selbstentfaltung.
Obwohl sich "Rocky Horror" natürlich in seinen satirischen Ansätzen und seinen Überspitzungen gefällt, verfällt er doch nie in die Fehler, die anderen Werken immanent ist: Er zelebriert Travestie auf seine Art und Weise, aber hintergeht sie nicht mit Peinlichkeiten - er nimmt sie bei aller Extravaganz ernst.

Noch mehr als die meisten Bühnenfassungen flirtet die filmische Version des Grusicals dabei offen mit seiner bunten und frivolen Visualisierung, lässt sich aber trotzdem zu keiner Zeit von eben jener ersticken, sondern integriert sie als futuristisch-erotische Fassade in sein Spiel aus Hommage und originärer Eigenständigkeit: Wenn der, als Mischung aus Gene Simmons und Freddie Mercury angelegte, Curry-Charakter Frank-N-Furter in frankenstein‘scher Manie und Negligé, eine, in einer regenbogenfarbenen Badewanne deponierten, Mumie zum Leben erwecken möchte, dann sollte man sich nicht davor scheuen, es als das zu bezeichnen, was es ist: Eine noch nie dagewesene Innovation; und eines der wenigen Produkte aus der - in Retrospektive oftmals verklärten - 70er-Ära, die den Stempel „Kult“ zurecht tragen.

Darstellerisch zentriert sich das Geschehen nach anfänglichem Prolog auf Tim Curry, der nicht nur seine Szenen, sondern die gesamte Szenerie zu beherrschen vermag, und zeigt, dass er mehr kann, als es große Teile seines sonstigen Schaffenswerkes kundtun.
Dank gutem Timing bekommt jedoch auch der übrige Cast, aus dem neben der oben bereits erwähnten Sarandon, vorallem Meat Loaf, Nell Campbell als bessere Variante von Bonham-Carter und nicht zuletzt Autor Richard O‘Brien als buckliger Kammerdiener hervorstechen, die ihnen zustehende Aufmerksamkeit.

Dass sich die „Rocky Horror Picture Show“ auch nach über dreißig Jahren noch immer als einer der - wenn nicht sogar als einziger - wirklich provokanter Genrebeitrag verstehen darf, sagt viel über den visionären Charakter von O‘Briens Stück aus; vielleicht aber auch etwas über unsere Zeit - diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten.
Fest steht aber: Kaum ein Musical kann auf ähnlichen Widerhall in der Popkultur zurückblicken, und nennt mehr leichtfüssige, aber trotzdem bitterböse Songs sein Eigen, als Sharmans „Rocky Horror Picture Show“.
In diesem Sinne: „Stay sane inside insanity

10 / 10

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